"Wann ist ein Mann ein Mann?" – Diese Frage ist heute aktueller denn je. Durch die zunehmende Technisierung, die Frauenbewegung und die allgemeine Pluralisierung der Lebensentwürfe erscheinen traditionelle Auffassungen von Männlichkeit antiquiert: Muskelkraft ist nicht mehr existentiell erforderlich, die Frauen sind eigenständig und verdienen ihr eigenes Geld, und neben der Familie mit patriarchalem Oberhaupt existieren zahlreiche andere Formen des Zusammenlebens.
Wichtige Säulen sogenannter hegemonialer Männlichkeit (wie Kirche und Militär) verlieren in Deutschland an Einfluss und gesellschaftlichem Ansehen, und sowohl durch Umweltkatastrophen als auch durch politische Skandale und Wirtschaftskrisen wächst die Zahl derjeniger, die einem von traditionell männlichen Werten geprägten Handeln kritisch gegenüber stehen.
Der "neue" Mann ist empathisch, partnerschaftlich und nimmt mehr am Familienalltag teil. Er ist sensibler für seine Umwelt und für innere Vorgänge, toleranter gegenüber sämtlichen sexuellen Orientierungen, und er lehnt Gewalt als Mittel der Konfliktlösung ab.
Gleichzeitig verlangen Gesellschaft und Arbeitswelt jedoch weiterhin von ihm, belastbar, rational und vollständig verfügbar zu sein. Das Verhalten unter Männern bzw. unter Jungen ist immer noch weitgehend geprägt von traditionellen Attributen wie beispielsweise die Demonstration der eigenen Stärke oder das Beschwören von Kameradschaft.
So ist das heutige Mann-Sein von starken Ambivalenzen geprägt, die im Spannungsfeld von traditionellen und neuen Rollenbildern ihren Ursprung haben und die bei vielen Männern und Jungen zu einer Verunsicherung hinsichtlich ihrer männlichen Identitätsgrundlage führen. Oftmals reagieren sie auf diese fehlende klare Orientierung mit dem Rückgriff auf traditionelles Verhalten. Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht werden abgespalten bzw. verdrängt und ein Bild der äußeren Souveränität angestrebt.
Gerade rechtsextrem orientierte Gruppen greifen diese Tendenzen auf und bieten Jungen und jungen Männern Anerkennung und Zugehörigkeit. Vor allem im ländlichen Raum ist ein starker Rollendruck auf Jungen vorhanden, sich einen rechtsorientierten Habitus anzueignen – während es in den Städten auch Nischen innerhalb von Jugendkulturen gibt, in denen auch unterdrückte Formen von Männlichkeit ihren Platz finden können.
In diesem Zusammenhang erweisen sich die vermehrten Mittelkürzungen in der Kinder- und Jugendarbeit als besonders tragisch. Im Bundesland Sachsen etwa zeigt sich deutlich, dass rechtsextremistische Gruppen dann Zuwachs finden, wenn Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit geschlossen werden.
An dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig die Jungenarbeit ist: Den Jungen müssen geschützte Entwicklungsspielräume für ihre spezifischen Prozesse zugestanden werden, um unterschiedliche Männlichkeiten kennen lernen und widersprüchlichen Identifizierungen und Unsicherheiten begegnen zu können!
Auch im Interesse der Frauenbewegung sind Angebote für Jungen, die zur Veränderung des traditionellen männlichen Rollenbildes beitragen, von großer Bedeutung. Im Sinne des Gender Mainstreamings, das ja die Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel hat, müssen spezifische Angebote für Jungen (und Männer) vorhanden sein, bei denen sie die Möglichkeit haben, ihre individuelle authentische Männlichkeit in einem wertschätzenden und unterstützenden Rahmen zu entwickeln – wild und sanft, laut und leise, fordernd und ruhig.
Wir von MANNE e.V. möchten unseren Teil dazu beitragen. Wir engagieren uns für die Jungenarbeit, weil wir Jungen auf ihrem Weg zum Mann-Sein begleiten und uns als reflektierte erwachsene Männer zur Verfügung stellen wollen. Wir arbeiten nicht mit Jungen, um ein bestimmtes Bild von Männlichkeit vermitteln, und zumindest ideell arbeiten wir auch nicht mit ihnen, weil sie Gewalttäter, Bildungsverlierer oder Mobbingopfer sind – wir arbeiten mit ihnen, weil es Jungen sind und weil sie Männer brauchen, mit denen sie sich identifizieren und an denen sie sich reiben können!
Aus unserer langjährigen Praxis lassen sich fünf Ziele oder Paradigmen ableiten, die unseren geschlechtsbewussten Angeboten für Jungen implizit zugrunde liegen: